Demokratischer Rechtsstaat? – Ja, aber …

von E.Bartsch
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… bitte nur, soweit meiner Meinung nicht wider­sprochen werden darf?

Vor nicht allzu langer Zeit wäre das (jedenfalls im Zusammenhang mit ernstgemeinter Politik) eine undenkbare Aussage gewesen. Mittlerweile aber ist diese Forderung (auch politisch) salonfähig geworden. Der antidemokratische Gedanke (demzufolge niemand, der anderer Meinung ist, das Recht auf die Äußerung derselben oder gar gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Plattformen haben soll) steht im engen Zusammenhang mit den Aus­drucksformen einer neuen Normalität (wobei der Begriff ‚Normalität‘ alles meint, was von der Allgemeinheit als gesellschaftsfähig akzeptiert wird bzw. werden soll, Anm.).

Diese neue Normalität wirkt allerdings reichlich gekünstelt, zumal die Wahrscheinlichkeit, dass sie die realen Bedürfnisse der mehrheitlichen Be­völkerung spiegelt, sichtlich gering ist.

Nichtsdestotrotz wird für entsprechende Propa­ganda bzw. die Anfütterung von bekennenden Jün­gern jede Menge Geld in die Hand genommen, sodass sich die Zahl der Hohepriester*innen des neuen Glaubens längst nicht mehr auf seine ureigenen Mitglieder beschränkt.

Randgruppen­-Communities aus dem Reich des virtuellen (oder sonstigen) Kuriositätenkabinetts waren gestern: Heute pfeifen übereifrige Zu­rechtgestutzte in der Gestalt von Politikern, In­fluencern und Lehrkräften das Evangelium der Selbstverleugnung von allen Dächern ­ und fühlen sich mächtig aufgeklärt, während sie fremdbestimmt vor sich hin buckeln.

Der lange Weg in die Demokratie

Jahrhundertelang war Europa von autoritären Herrschaftssystemen und zahlreichen Kriegen geprägt gewesen. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges legten viele Nationalstaaten – so auch der unsere – endgültig im Hafen der Demokratie an.

Nachdem die Erste Republik ­ – wie die Geschichte lehrt ­ – schlecht gegen politischen und medialen Missbrauch gewappnet war, ging der Anbruch der Zweiten vorgeblich mit dem Ansinnen vonstatten, demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse möglichst nachhaltig zu garantieren. Jahrzehnte­ lang hatte es den Anschein, als ob dies auch geglückt wäre: Eine augenscheinlich funktionieren­de Gewaltenteilung sowie eine Verfassung, die sich den Menschenrechten verpflichtet hatte, sorg­ten für soziale Sicherheit, friedliche Verhältnisse und ein Leben in Würde (für alle Bevölkerungs­schichten). Dazu gehörte nicht zuletzt eine Dis­kussionskultur, deren Sinn und Zweck darin be­stand, unterschiedliche Standpunkte auf Augen­höhe zu erörtern. Das Recht auf freie Meinungs­äußerung stand ausdrücklich jedem zu. Unab­hängig davon, über wen man sich vielleicht ärgerte oder wessen Meinung man persönlich nicht in Ordnung fand, wurde dieses Grundrecht als ein un­antastbarer Pfeiler der demokratischen und so­zialstaatlichen Gesamtorganisation behandelt. Dies ermöglichte ein weitestgehend friedliches Mit­einander, auch angesichts von (mitunter grundver­schiedenen) Lebensauffassungen innerhalb der Bevölkerung.

Und nun?

Umso nachdenklicher machen aktuelle Tendenz­en, die dieser Tage nicht nur in sozialen Medien oder auf populistischen Rednerbühnen (auf der Ebene der Meinungsäußerung), sondern insbe­sondere an Bildungsanstalten (und damit in Form von unverhohlener Indoktrination) Platz greifen. Im Dienst der Menschenrechte wollen Interessen­vertretungen mit vermeintlich humanitären Absich­ten stehen, wenn sie ­ mit gezieltem Fokus auf die Jugend ­ immer aggressiver proklamieren: Es rei­che nicht länger aus, sich auf den Gebrauch vom eigenen Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschränken oder sich nötigenfalls demokratischer Instrumente des Widerstands zu bedienen. Nein: Vielmehr sei es unerlässlich, Sichtweisen und Le­benshaltungen, die im Widerspruch zur eigenen stehen, endlich abzuschaffen. Es sei beileibe nicht länger vertretbar, dass die Öffentlichkeit zu allen vorhandenen Informationen Zugang hätte bzw. dass sich Menschen – ungelenkt durch ent­sprechende ‚Moderation‘ oder ‚Berichtigung‘ – eine Meinung bilden (dürfen). Solche Botschaften ha­ben es mitunter bereits an universitäre Dozenten­pulte geschafft. Alleine der Umstand, dass das Gefahrenradar junger Intellektueller angesichts sol­cher Ideen und Formulierungen gar nicht mehr ausschlägt, spricht Bände über den Zustand unserer Demokratie.

Auf Schleichwegen „raus aus der Demokratie“?

Da stellt sich – mit Verlaub – die Frage: Wo bitteschön ist eine Gesellschaft, die es bereits in die Struktur eines friedlichen Rechtsstaats ge­schafft hatte, falsch abgebogen, um plötzlich wieder Existenzen hervorzubringen, die sich laut­stark für die Abschaffung von Grundrechten ­ z. B. dem Recht auf freie Meinungsäußerung ­ ein­setzen? Welche Kurzsichtigkeit malt sich allen Ernstes aus, ein (erfolgreicher) Angriff auf die Grundrechte anderer hätte keinerlei Auswirkungen auf die Basis der Grundrechte aller ­ und damit auch der eigenen? Wie unbewusst muss eine Lebensform sein, die nicht einmal merkt, wenn sie sich selbst und die eigene Lebensgrundlage empfindlich verletzt?

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ …

Zeitgenössische Ideologien, die es mit sich brin­gen, essenzielle Voraussetzungen für das Fortbe­stehen demokratischer Strukturen als „nicht mehr zeitgemäß“ darzustellen, stützen sich (vorgeblich) entweder auf humanitäre Bestrebungen oder auf die viel bemühte Wissenschaftlichkeit. Doch erweisen sich die wahlweisen Begründungen – egal, welcher argumentatorische Ansatz gewählt wird – bei näherer Betrachtung in fast allen Fällen als unhaltbar. So gestalten sich etliche ‚wissen­schaftliche‘ Argumentationen rund um die Ein­führung neuer Normen, die aus ‚ganz wichtigen‘ Gründen eine lange nicht mehr dagewesene Über­griffigkeit und Bevormundung (z. B. seitens des Staats oder sogar außerstaatlicher Instanzen) ze­mentieren wollen, als dermaßen substanzlos, dass sie weder einer methodischen Prüfung, noch ein­em (wirklich) freien Diskurs standhalten könnten.

Nicht umsonst sind es hauptsächlich Taktiken emotionaler oder existenzieller Erpressung, die es braucht, um die Massen zu ‚überzeugen‘ bzw. kritische Fachleute verstummen zu lassen – und eben nicht die behauptete Überlegenheit fundierter Argumente auf der Grundlage sauberer und unab­hängiger Studien. Daher muss der geistig ver­meintlich Überlegene heutzutage auch gar keine Ahnung von Wissenschaft haben, um zu ‚wissen‘, was er wissen soll, ­ nämlich: dass man die „Feinde der Wissenschaft“ daran erkennt, dass sie Befehle nicht anstandslos befolgen …

Genauso schwer wie die Wissenschaftlichkeit (wo immer sie als bloßes Totschlagargument zu rein propagandistischen Zwecken bemüht wird) lässt sich andererseits das Motiv des Humanitären ver­kaufen, wo immer es offenkundig dekadente Egomanen sind, die es sich auf die Fahnen heften wollen. Manch einer fragt sich zurecht: Wenn es tatsächlich der soziale Fortschritt ist, der den nämlichen Interessenvertretungen so sehr am Herzen liegt: Warum verschlechtert sich ­ insbe­sondere ­ die soziale Situation überall dort rasant und drastisch, wo diese Wohltäter und ‚Innen‘ größeren Einfluss gewinnen? Wenn es den Bevölkerungen westlicher Demokratien mit dem ‚Neusprech‘, den Denkverboten und den wachsen­den Auflagen im Bezug auf Gesundheit, Kinder­erziehung, Klimapolitik etc. so gut geht, wenn sie den Preis für diese Politik so wahnsinnig gerne bezahlen: Warum kam es dann in etlichen Ländern, die sich bis vor wenigen Jahren als gemäßigt bis liberal begriffen haben, zum vielfach beklagten ‚Rechtsruck‘? Wenn das Anliegen tat­sächlich ein soziales ist, das einem ‚Wir­Gefühl‘ und echter Empathie entspringt: Warum scheint dann das größte Trauma hypermoralischer Aktivis­ten darin zu bestehen, einer Umwelt ausgesetzt zu sein, in der auch andere Menschen atmen und andere Meinungen existieren dürfen? Warum funk­tionieren die Konzepte, die sie anbieten, immer nur im Zusammenhang mit der Vernichtung von Mei­nungsvielfalt und Bewegungsfreiheit ­ während sie gleichzeitig Begriffe wie „Diversität“, „Toleranz“ und „Inklusion“ für sich gepachtet haben wollen?

Das Bedürfnis, die eigenen Befindlichkeiten und Präferenzen für den ganzen Rest der Welt an erste Stelle zu setzen, scheint riesengroß zu sein. Was dagegen zu wünschen übrig lässt, ist die Bereit­schaft, auch dem Gegenüber Gehör zu schenken und ihn oder sie auf Augenhöhe wahrzunehmen. Und dennoch beanspruchen sämtliche Vertreter des politischen Spektrums die Rolle des ‚Guten‘ (Nein: des Besser­Seins!) jeweils alleine für sich. Alle arbeiten mehr oder minder mit Sündenbock­modellen, alle demonstrieren größeres Interesse am eigenen Machtausbau als am Wohl derer, die sie angeblich vertreten. Und inmitten dieser politischen Schmierenkomödie aus Selbstverherr­lichung und Projektionsstrategien, von der im Grunde keine Fraktion ausgenommen werden kann, heben sich jüngst ausgerechnet die „Ultra­liberalen“ mit der offen ausgesprochenen Grenz­überschreitung zum Totalitären ab – indem sie propagieren: „‚Falsche‘ Gedanken und Meinungen gehören verboten!“ (Und implizit: „Was als falsch zu betrachten ist, bestimmen natürlich wir!“).

Prompt heißt es wieder: „Demokratie und Menschenrechte? ­ Ja, aber …“ ­ … nur in begrenztem Rahmen. … nur in bestimmten Fragen. … nur für politisch erwünschte Gruppen etc. Wohin soll das führen? Und: Sollten wir uns nicht langsam sehr bewusst mit der Frage auseinandersetzen, ob das der Weg in eine Zukunft ist, die wir uns als Gesellschaft wirklich wünschen?

Ein kleines Gedankenspiel

Stellen wir die kühne Behauptung auf, dass es auf der ganzen weiten Welt keinen Menschen gibt, der sich nie durch unliebsame Meinungen verletzt oder sogar bedroht gefühlt hat. Gehen wir ferner davon aus, dass ein geistig gesunder Mensch die Kon­frontation mit anderen Meinungen (auch solchen, die ihm nicht gefallen) in der Regel problemlos überlebt. Mehr noch: dass der Umgang damit so­gar eine wichtige Station im Rahmen der Charak­terbildung (nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit Mündigkeit) ist.

Nehmen wir weiter an, dass ein Instrumentarium aus gesetzlichen Regelungen, das bisher nicht ein­mal Kapitalverbrechen ‚ausmerzen‘ konnte, auch den Fortbestand unterschiedlicher Lebensauffas­sungen nicht verhindern, sehr wohl aber Grund­rechte dauerhaft aushebeln kann.

Zumindest auf der Basis dieser Annahmen – wir gehen davon aus, dass unsere Leser/innen in der Lage sind, eigene Schlüsse über den Realitätsbe­zug der genannten Prämissen zu ziehen – wäre absehbar, dass kein Denkverbot und kein „Gesin­nungsgesetz“ der Welt je verhindern wird, dass auch künftig unterschiedliche Auffassungen darü­ber bestehen werden, was Individuen als richtig oder falsch, gesund oder ungesund, gefährlich oder unbedenklich … erachten.

Was angesichts zunehmender Zensur und Regle­mentierung verhindert würde, wäre lediglich die Möglichkeit der freien Äußerung. Dies beträfe im Extremfall bereits die grundlegendsten Fragen des Zusammenlebens sowie der persönlichen – viel­leicht sogar der intimsten – Lebensgestaltung. Werden aber die Ausdrucksmöglichkeiten in re­levanten Fragen der Lebensgestaltung dauerhaft und obendrein einseitig unterdrückt, ist nicht nur das Vorhandensein sozialer Spannungen, sondern auch deren Ausweitung vorprogrammiert. Bereits das alltägliche Aggressionspotential, das in freien Strukturen auf (weitestgehend) harmlose Weise abgebaut werden kann, wird unter Druck und hinter Maulkörben tendenziell verstärkt. Sobald sich ein Zuviel an staatlicher Repression mit vermehrter Existenzangst paart, steigt letztlich auch die Gefahr, dass Aggressionen kollektiv ins Exzessive umschlagen. Welche Richtung Europa im Bezug auf diese Dynamik derzeit ansteuert und wel­chen Zweck die zunehmenden Bemühungen um Sprechverbote und Tabuisierungen vor diesem Hintergrund wirklich haben, mag jede und jeder für sich selbst beurteilen (ebenso wie die Frage, wie bewusst die Rolle sein soll und darf, die er oder sie in diesem Umfeld spielen möchte).

Resümee mit Blick auf Österreich: In den fast acht Jahrzehnten (seit dem Zweiten Weltkrieg) war es die Wahrung des demokratischen Grundgedan­kens, die den Facetten der Verschiedenheit in diesem Land ein Nebeneinander in Frieden und Wohlstand ermöglicht hat. Worauf meinen Sie, liebe/r Leser/in, wird es wohl hinauslaufen, wenn uns dieses wertvolle Gut abhanden kommt und die autoritäre Durchsetzung von Herrschaftsinteressen wieder zunehmend durch die vermeintliche Untrag­barkeit verschiedener Sichtweisen gerechtfertigt wird?

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund stellt die Demokratie aus Sicht der ABGE den wichtigsten bereits errungenen Aspekt des Grundeinkommens dar, den es zu erhalten, zu stärken und auf die sozialpolitischen Herausforderungen der Gegen­wart auszuweiten gilt. Bei allen Veränderungen, die im Rahmen des aktuellen Paradigmenwechsels zweifellos auf uns zukommen, sollte das „Grundeinkommen Demokratie“ unbedingt vertei­digt werden – alles andere wäre ein zivilisa­torischer Rückschritt. Unabhängig von sonstigen politischen Präferenzen sollte es uns daher den Mut und die Mühe wert sein, uns dieses unbezahlbare Gut mit vereinten Kräften zu erhal­ten. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass ein Wech­sel der Paradigmen in eine konstruktive Zukunft führt ­ anhand einer bewussten und freien Wahl in allen Belangen unseres Lebens!

Text: CoKa

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