Grundeinkommen und Autoritarismus

von E.Bartsch
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Zur Definition und Verwendung zentraler Begrifflichkeiten sei Folgendes vorweggenom­men: Unter einem bedingungsfreien Grundeinkommen wird ein Einkommen verstanden, das alle Bürger eines Staates monatlich ausbezahlt bekommen. Es muss die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Anders als manchmal behauptet, verhindert ein Grundeinkommen aber nicht die Existenz anderer Sozialleistungen, die im Bedarfsfall zusätzlich greifen können. Ich wähle die Bezeichnung „bedingungsfrei“ statt „bedingungslos“ aus einem psycholinguistischen Hintergrund. Beim Suffix „­los“ entsteht die Wirkung, es fehle etwas. Man beachte die subjektive Wirkung der Worte „sorgenfrei“ und „sorglos“.

In den 1970er Jahren haben pazifistische Bewe­gungen begonnen, den Begriff „Gewaltloser Wider­stand“ durch „Gewaltfreier Widerstand“ zu er­setzen. Im Ergebnis war eine Stärkung pazifis­tischer Bewegungen zu verzeichnen.

Was aber impliziert nun ein bedingungsfreies Grundeinkommen? ­ Als Auftakt einer Erklärung bietet sich ein Gedanke von Jean de La Bruyère an: „Es ist schön, den Augen dessen zu begegnen, dem man soeben etwas geschenkt hat.“

Projekt Mincome

Die Idee, ein Grundeinkommen für alle Bürger einzuführen, ist nicht neu. Schon in den 1970er-Jahren gab es Überlegungen in diese Richtung in Nordamerika. Im März 1983 wurde in Kanada ein Betrag von 83 Millionen US­-Dollar für das Projekt Mincome freigegeben, ein Feldversuch mit einem bedingungsfreien Grundeinkommen. Jeder Einwohner der Kleinstadt Dauphin, der unterhalb der Armutsgrenze lebte, bekam ein Grundeinkommen; das waren etwa 30% der Bevölkerung. Bei einer Untersuchung nach dem Jahr 2000 hat sich herausgestellt, dass Mincome ein überwältigender Erfolg gewesen ist.

Unterschätztes Erfolgsrezept

Die sozio-psychologischen Implikationen eines bedingungsfreien Grundeinkommens sind entscheidend, oft jedoch unterschätzt. Obwohl es keinen direkten Arbeitszwang in unserer Gesellschaft gibt, führt der Druck durch die Bedrohung von Bürgergeld, finanzielle Verpflichtungen und Rollenerwartungen zu einem gefühlten Arbeitszwang. Dieser Zwang spiegelt sich im alltäglichen Sprachgebrauch wider, wenn Menschen sagen, dass sie morgen wieder zur Arbeit müssen. Die Wahrnehmung von Arbeit als mühsam und anstrengend statt als Selbstverwirklichung ist weit verbreitet, obwohl die meisten Menschen arbeiten wollen.

Das aktuelle wohlfahrtsstaatliche Modell wirkt demotivierend und deprimierend auf Arbeitslose. Ein bedingungsfreies Grundeinkommen hingegen könnte Menschen ermöglichen, ungeliebte Tätigkeiten aufzugeben und sich Berufen zuzuwenden, die ihrer persönlichen Berufung entsprechen.

BGE vs. Extremismus

Doch kann ein Grundeinkommen auch die Demokratie stärken? Ich denke, aus vielen Gründen kann es das, und einen davon möchte ich in diesem Text näher beleuchten. Die Einführung wird die Verbreitung von rechtsextremen, islamistischen und anderen extremistischen Einstellungen senken. Es besteht eine enge Verbindung zwischen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und autoritären Einstellungen von Individuen. Erich Fromm, ein mittlerweile verstorbener deutsch-jüdischer Soziologe und Psychoanalytiker, hebt psychosoziale und psychohistorische Bedingungen hervor, die sich auch in der Gegenwart entwickeln können und latent vorhanden sind. Solche Menschen tendieren zu autoritärem Verhalten, was als sadistisch­-masochistischer Charakter beschrieben wird.

Autoritarismus:
Eine Frage der Erziehung?

Herbert Renz­-Polster erklärt in seinem Buch „Erziehung prägt Gesinnung“, dass eine strenge Erziehung, die die kindlichen Gefühle nicht beachtet und auf Gehorsam basiert, das Entstehen autoritärer Charaktermerkmale verursacht. Die autoritäre Persönlichkeit entsteht laut Renz­-Polster in der Kindheit durch Liebesentzug, eine strenge, nicht reaktive Erziehung und insbesondere durch Gewalt. Der Autor stellt in seinem genannten Werk fest, dass Donald Trump überall dort hohe Zustimmungswerte erreichte, wo relativ viele Erwachsene Gewalt als Erziehungsmittel erlebten. In Bundesstaaten hingegen, in denen Gewalt gegen Kinder geächtet ist und selten angewendet wird, findet auch Trump wenig Anhängerschaft. Die Biografien aller Diktatoren und Rechtsradikalen zeigen, dass es sich um Menschen handelt, die eine Kindheit ohne Liebe, dafür aber mit Gewalt und Unterdrückung erlebt haben. Passend dazu sagt Alice Miller, eine polnisch-schweizerische Autorin und Psychologin, die sich unter anderem mit den Kindheitserfahrungen von Tyrannen wie Hitler befasste: „Ein Mensch denkt sich kaum etwas Ungeheuerliches aus, wenn er es nicht aus Erfahrung kennt.

Sadistisch-­masochistische Hierarchien

Fromm definiert Sadismus als den Wunsch, Lebewesen zu beherrschen, während Masochismus bedeutet, dass derjenige, der stärker ist, bewundert wird. Der autoritäre Charakter manifestiert sich oft darin, dass er sich über angeblich faule Arbeitslose und Flüchtlinge aufregt, für deren (nicht vorhandenen) Wohlstand er täglich hart arbeiten müsse. Gleichzeitig schweigt er jedoch zu reichen Steuerhinterziehern oder Bankenrettungspaketen, die deutlich mehr Steuergelder verschlingen als die Gewährleistung des Grundrechts auf menschenwürdige Existenzsicherung.

Doch der autoritäre Charakter ist nicht an logischen Berechnungen interessiert. Das Treten auf Schwächere und die Bewunderung Stärkerer sind die essenziellen Merkmale. Der Sadist wird nur vom Unterlegenen gereizt, denn nur diesen kann er zu seinem Geschöpf machen.

Diese Merkmale passen zu der Beobachtung, dass Anhänger der autoritären Rechten eine geringere Offenheit für Neues zeigen. Psychologen verstehen darunter die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Anhänger autoritärer Gesinnungen haben ein höheres Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Struktur sowie eine höhere Ängstlichkeit.

Wettbewerb statt Kooperation

Ein typisches Merkmal rechtsextremistischer Ideologien ist auch ihre Unvereinbarkeit mit dem Konzept der Kooperation. Wohl fühlen sich ihre Anhänger in sozialen Gemeinschaften, in denen es ein Oben und Unten mit strengen Hierarchien gibt. Egalitäre Gemeinschaften, in denen alle gleichberechtigt sind, sind ihnen ein Gräuel. Daher auch die kaum vorhandene Kreativität innerhalb solcher Hierarchien, denn in einem Umfeld, in dem man nicht selbst denken darf, sondern Anordnungen von oben befolgen und an Untergebene seinerseits Befehle weitergeben muss, kann sich der kreative Spieltrieb des Menschen nicht entwickeln. Wohl fühlt sich der autoritäre Charakter immer dann, wenn er im Wettbewerb steht.

Wenig überraschend steht im AfD­-Parteiprogramm: „Je mehr Wettbewerb, desto besser für alle“. Wie in einem Wettkampf, in dem jeder Erster werden will, alle gewinnen können, diese Erklärung bleibt die AfD ihren Wählern schuldig. Danach fragt aber auch keiner. Hauptsache, die Ellenbogen werden ausgefahren: Die Deutschen müssen sich gegen den Rest der Welt durchsetzen, stärker sein, härter sein.

Auch CSU­-Ministerpräsident Markus Söder spricht davon, dass wir in Deutschland dringend mehr Wettbewerb und Leistungsdenken bräuchten und im Wettbewerb gegen die globalen Mitbewerber besser aufgestellt sein müssen. Es gibt kein Mit­-, sondern nur ein globales Gegeneinander. Gut aufgestellt war früher ein Begriff aus dem Militär, heute Standardphrase in der Wirtschaft, als ob Heere für einen Wirtschaftskrieg besungen würden.

Krisen als Zündschnur

Dennoch bedarf das Durchbrechen antidemokratischer Denkmuster stets mehrere Faktoren. Frühkindliche Prägungen kann man sinnbildlich als Pulverfass sehen, aber damit eine Gesellschaft in Extremismus verfällt, benötigt es zudem eine Zündschnur. Der aktuelle Höhenflug der AfD in Deutschland beispielsweise hat auch damit zu tun, dass die multiplen Krisen viele Menschen verunsichern und Existenzängste hervorrufen. Wer grundsätzlich rechtsoffen ist, der bekennt sich nun zunehmend zum Rechtsextremismus.

Stoßdämpfer BGE

Ein bedingungsfreies Grundeinkommen könnte hier Abhilfe schaffen, indem es Vorhersehbarkeit und Sicherheit bietet, Stress und Existenzangst reduziert. Die durch multiple Krisen (Corona, Ukrainekrieg, Wirtschaftskrise, Klimakrise) hervorgerufenen Ängste würden durch die Einführung eines bedingungsfreien Grundeinkommens zumindest abgemildert. Dies könnte wiederum autoritäre Denkmuster verringern, was förderlich für die Demokratie im Allgemeinen wäre.

Fazit

Insgesamt wird verdeutlicht, dass das bedingungsfreie Grundeinkommen tiefgreifende Veränderungen im gesellschaftlichen Gefüge zwischen sozialen Sicherheiten, psychologischem Wohlbefinden und demokratischen Werten erwirken kann. Die Einführung eines solchen Grundeinkommens könnte nicht nur existenzielle Ängste mildern, sondern auch dazu beitragen, die Demokratie zu stärken.

Gerade in unserer Zeit, geprägt von vielfältigen Krisen, könnte das bedingungsfreie Grundeinkommen somit als Instrument dienen, das sowohl individuelles Wohlergehen fördert, als auch einen positiven Einfluss auf die demokratische Resilienz einer Gesellschaft ausübt.

Text: Jens Mayer

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Cookies scheinen irgendwie bedingungsfrei zu sein. Als Grundeinkommen wollen wir sie aber nicht! Ja, ja, alles wird gut ;-)