In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (beschlossen am 10. Dezember 1948) steht:
Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
Artikel 2: Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.
Artikel 4: Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.
Artikel 22 (Recht auf soziale Sicherheit): Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, (…) in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für die eigene Würde und die freie Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unentbehrlich sind.
Artikel 25 (Recht auf Wohlfahrt): Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl für sich selbst und die eigene Familie gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, (…)
Diese Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beginnen also immer mit „Jeder Mensch … hat das Recht …“. Es heißt nicht „jeder Mann“, es heißt nicht „jeder erwachsene Mensch“ und es heißt auch nicht „jeder arbeitende oder arbeitswillige Mensch“. Es heißt „Jeder Mensch“. bedingungsfrei.
Schon Erich Fromm (1900-1980) schrieb 1966 in seinem Buch „Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle“:
Das garantierte Einkommen würde nicht nur aus dem Schlagwort “Freiheit” eine Realität machen, es würde auch ein tief in der religiösen und humanistischen Tradition des Westens verwurzeltes Prinzip bestätigen, dass der Mensch unter allen Umständen das Recht hat zu leben.
Dieses Recht auf Leben, Nahrung und Unterkunft, auf medizinische Versorgung, Bildung usw. ist ein dem Menschen angeborenes Recht, das unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, nicht einmal im Hinblick darauf, ob der Betreffende für die Gesellschaft “von Nutzen ist”.
Sicher würden viele Leute gerne für ein oder zwei Monate nicht arbeiten. Die allermeisten würden aber dringend darum bitten, arbeiten zu dürfen, selbst wenn sie nichts dafür bezahlt bekämen.
Oft hört man das Argument: „Nichts ist bedingungsfrei. Alles ist an Bedingungen geknüpft.“ Aber wie ist das mit Eltern und ihren Kindern? Bekommen Kinder nur zu essen, wenn sie „brav“ sind? Ich kenne noch Zeiten, in denen Kinder vom Tisch fern gehalten wurden, wenn sie etwas angestellt hatten. Aber sehen wir das heute noch als ein probates Mittel der Kindeserziehung? Eltern haben für ihre Kinder zu sorgen. bedingungsfrei. Als Kindesrecht. Punkt.
Und ist nicht die Gesellschaft für die Erwachsenen das, was Eltern für ihre Kinder sind?
Ist es nicht eine moderne Form der Sklaverei („Lohnsklaverei“), wenn Menschen gezwungen werden zu arbeiten, weil sie sonst verhungern müssen? Wenn sie gezwungen werden, Arbeit zu leisten, die sie physisch oder psychisch kaputt macht? Oder sinnlose Arbeit? Oder Arbeit, die ihren eigenen Wertvorstellungen widerspricht?
Vor kurzem hörte ich den Einwand, dass Menschen, die ein Grundeinkommen beziehen, dann nicht mehr „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“. So hat sich ein Kammerfunktionär ausgedrückt. Meinte er damit wirklich den „Arbeitsmarkt“? Oder den modernen Sklavenmarkt?
Unsere Kultur baut auf einem christlich/humanistischem Gedanken- und Wertesystem auf. Was ist die Basis dieses Wertesystems? Ist es nicht die bedingungsfreie Liebe – sowohl im Christentum, als auch in den meisten anderen Religionen?
In unserer Gesellschaft lassen wir niemanden verhungern. Jeder bekommt etwas zu essen, egal ob er/sie arbeitet oder nicht, selbst Mörder erhalten ein Essen (und ein Dach über dem Kopf). Aber warum muss das an Bedingungen geknüpft werden? An Arbeit oder Arbeitswilligkeit?
Wissen wir, was Menschen machen, die nicht „arbeiten“, also keiner Erwerbsarbeit nachgehen? Kann es nicht sein, dass unbezahlt viel mehr Arbeit geleistet wird, die sogar für die Gesellschaft wichtiger ist? Ja, noch weiter gedacht: Ist „Arbeit“ überhaupt bezahlbar?
Ich erinnere noch einmal an das Zitat von Erich Fromm: „Sicher würden viele Leute gerne für ein oder zwei Monate nicht arbeiten. Die allermeisten würden aber dringend darum bitten, arbeiten zu dürfen, selbst wenn sie nichts dafür bezahlt bekämen.“
Ein Grundeinkommen ist ein Menschenrecht. Und so wie alle Menschenrechte darf es nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden.
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