Ein Wort mit fünf Buchstaben …

Text: CoKa

von E.Bartsch
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Der Begriff „sozial“ wurde im Laufe der letzten hundert Jahre für die unter­schiedlichsten Ideologien strapaziert. Manche davon konnten seiner Bedeutung ge­recht werden, andere haben sie dreist korrum­piert.

So wird das Wort „sozial“ zum einen mit der Arbeiterbewegung assoziiert, die sich seiner­zeit für faire und menschenwürdige Bedingun­gen zugunsten von Arbeitnehmern wie auch der Gewährleistung einer angemessenen Gesund­heitsversorgung eingesetzt hat.

Zugleich aber steckt es in Begriffen wie „Na­tionalsozialismus“, unter dessen Schreckens­herrschaft der systemisch geförderte „Kame­radschaftsgeist“ darauf abzielte, bereits Kinder und Jugendliche an eine Doktrin krankhafter Menschenverachtung heranzuführen und sie zu Kriegszwecken zu instrumentalisieren.

In wieder anderer Weise stützte sich die Ideolo­gie des Kommunismus auf den sozialistischen Gleichheitsgedanken ­ dessen praktische Um­setzung sich aber zumeist in irgendeiner Form von „gleichberechtigter Rechtelosigkeit“ und offener Bevormundung durch den Staat niederschlug. Beispiele: die ehem. DDR, der russische Bolschewismus, die chinesische Einheitspartei.

Schnee von gestern?

Die Pervertierung und Instrumentalisierung von Begriffen wie „sozial“ oder „solidarisch“ ist kei­neswegs das Patent einer Vergangenheit, die noch in schwarz­weiß dokumentiert werden musste.

Wie rasch das politische und mediale Schüren von Angst, Misstrauen und Unvereinbarkeiten selbst innerhalb demokratischer Strukturen zu einer heillosen Spaltung führen kann, die men­schenverachtende Tendenzen in allen politi­schen Lagern auflodern lässt, haben erst die jüngsten Krisen schmerzhaft zutage gefördert.

Die Umdeutung des Begriffs „sozial“ zu „gemein­sam gegen …“ durch diverse Vertreterschaften zeitgenössischer Ismen ist ein weiteres Beispiel für den Missbrauch des Gemeinschaftsbegriffs zu propagandistischen Zwecken. Plötzlich ist „Social Distancing“ das neue „Sozial“. Die Politik liebäugelt unverblümt mit einem „Social Credit System“ nach chinesischem Vorbild ­ und kaum ein Magengrübchen schlägt dabei Alarm.

Kernthema dieses Artikels sind aber nicht un­mittelbar die Verwendungsarten des Wortes „sozial“, zu denen es zweifellos noch mehr zu sagen gäbe. Vielmehr geht es um die Frage, warum so gut wie jede soziale Struktur und je­des Modell der Ressourcenverteilung, die im Laufe der Geschichte vorgeblich der Schaffung von Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand ver­pflichtet waren, letztlich immer an systemeige­nen Ungerechtigkeiten gescheitert sind. Der gewählte Blickwinkel zur Annäherung an diese Frage beschäftigt sich mit unterschiedlichen Auf­fassungen des Menschseins.

Menschenbilder

Mit dem sogenannten „Venus Projekt“ setzte der US­-amerikanische Visionär Jaques Fresco (1916­2017) seinem Ideal einer freien und artge­rechten Lebensweise für die Spezies Mensch ein Denkmal. Die Innovationen des „Social Engineers“ und Industriedesigners bauten auf eine sinnvolle Nutzung modernster Technik im Einklang mit den Bedürfnissen von Natur und Mensch. Dem gängigen Wirtschaften auf der Ba­sis von künstlich erzeugter Knappheit stellte er eine ressourcenbasierte Ökonomie gegenüber, wie sie sowohl dem Menschen als auch seinem Lebensraum dienen soll.

In seinen Vorträgen behandelte Fresco nicht nur technologische und wirtschaftliche, sondern auch soziologische Grundsatzfragen. Den Um­stand, dass die Menschheit als Kollektiv trotz des Vorhandenseins von Innovationsgeist und zahlreicher Möglichkeiten zur Steigerung der Lebensqualität nie über eine konkurrenzbasierte und kriegerische Gesamtorganisation hinausgewachsen ist, bezeichnete er mehrfach als ein Problem der Sozialisation. Nachdem jedoch Frieden und Wohlstand den Zustand beschrei­ben, von dem die Bevölkerung eines jeden Landes am meisten profitiert, wohingegen nur wenige Interessenvertretungen größeren Nutzen aus Armut, Krieg und Zerstörung ziehen, legte Fresco mit dem Stichwort ‚Sozialisation‘ den Fin­ger in eine Wunde, die u. a. auch im Rahmen der „Zeitgeist“­Bewegung thematisiert wurde.

Nach Fresco ist der Mensch weder gut noch schlecht. Frieden und Wohlstand einer Gesell­schaft gründen auf der jeweiligen Sozialisation, die entsprechende Ergebnisse bringt.

Im Gegensatz dazu stehen die misanthropi­schen und perspektivlosen Äußerungen eher frustrierter Zeitgenossen: Der Mensch sei nicht dafür geschaffen, friedlich zu leben. In der gan­zen Menschheitsgeschichte habe es nie Frieden und Gerechtigkeit gegeben und das läge schlicht an der Natur des Menschen. Aus diesem Grund brauche es eine strenge Hand, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Diesem Menschenbild zu­folge braucht der Homo Sapiens die ständige Bevormundung, um seine eigenen Triebe unter Kontrolle zu halten. Die Gemeinschaftsfähigkeit des Individuums verlangt demnach eine überge­ordnete Autorität, die ggf. regulierend eingreift.

Vertreter des Wutbürgertums wiederum sehen die Schuld für jeden Missstand bei „denen da oben“, die auf Kosten des Steuerzahlers ein „Le­ben in Saus und Braus“ führen, ohne der Verantwortung ihrer hoch dotierten Positionen Rechnung zu tragen (gemeint sind Entschei­dungsträger aus Politik und Wirtschaft). Diese Haltung demonstriert einerseits Resignation und Ohnmachtsgefühle, andererseits aber auch die fehlende Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen. Denn: Wo sind die vielen Stim­men, die sich darüber empören, dass die „Dörfer sterben“, die „Wirten zusperren“, „jungen Leuten die Plattformen fehlen“ und es „kein kulturelles Leben mehr gibt“, sobald es darum geht, die ei­gene Umgebung selbst zu beleben? Wo sind die privaten Gemeinschaften und Initiativen? Wo sind die Unterstützer solcher Initiativen?

Dazu kommen jene Charaktere, die immer und überall zu wenig Platz für andere Meinungen und Bedürfnisse orten. Stets ist ein ethnischer oder ideologischer Sündenbock nötig, um sich Missstände zu erklären und die eigenen Priori­täten als vorrangig zu rechtfertigen: Die Arbeits­losen, die Asylanten und Migranten, die Studen­ten, die Demonstranten, die Querdenker, die Ungeimpften etc. ­ Sie sind der mutmaßliche Grund für alles, was in dieser Gesellschaft schiefläuft. Eine bedingungslose Grundversorgung passt freilich nicht in ein solches Konzept, zumal es schließlich die vielen „Sozialschmarotzer“ und „Querköpfe“ seien, die das Land in den Ruin trie­ben. „Bedingungslose Spitzenverdienste“ hinge­gen (ein Begriff, der von Andreas Popp geprägt wurde, womit die Bezieher von Spitzen­einkommen gemeint sind, die Zeit ihres Lebens nicht in der Pflicht stehen, dafür irgendeine Leistung zu erbringen) stoßen demselben Klien­tel keineswegs sauer auf.

Man schätzt und be­wundert die Vorstellung des ausschweifenden Wohlstands sowie jene, die darüber verfügen. Insgeheim wäre man gerne selbst an deren Stelle. Dem Sozialhilfeempfänger allerdings missgönnt man sogar die Notstandshilfe.

Vertreter von Sündenbock­-Philosophien fühlen sich in autoritären Strukturen insofern wohl, als sie damit Ordnung und Sicherheit assoziieren. Im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht, dass es sich bei diesem Phänomen ausschließlich um die Anhängerschaft rechter „Volkshelden“ han­delt, bedienen sich sehr wohl auch Vertreter des bürgerlichen Mittelstands wie auch Anhänger links-­linker Ideologien dieser Strategie. Die Gemeinsamkeit liegt nämlich nicht in einer ein­zelnen Ideologie, sondern in der Bereitschaft, soziale Gruppen pauschal zum Sündenbock zu erklären.

Was der Mensch von sich selbst hält

Zwei grundlegende Annahmen finden sich in allen Menschenbildern, auf denen die bestehen­de soziale Ordnung ­ direkt oder indirekt ­ fußt:

  1. Die Annahme, dass der Mensch schlecht sei (schlecht im Sinne von: gierig, faul, dumm, eigennützig, ungerecht, empathielos, …).
  2. Die Annahme, dass daher die Ordnung, die das Funktionieren einer menschlichen Gemein­schaft bedingt, nur durch Kontrolle und Vor­mundschaft gewährleistet werden könne.

Die fehlende Zutat

Wie aber passt dieses Menschenbild zu den Zielsetzungen vermeintlicher Sozialstaaten? Und ­ um zur vorab gestellten Frage zurückzu­kehren: Warum hat man es bei keinem bisher umgesetzten sozialpolitischen Modell geschafft, auf den Einbau perfider Mechanismen zu ver­zichten, die soziale Gerechtigkeit und Weltfrie­den geradezu ausschließen?

Die Antwort versteckt sich womöglich hinter weiteren Fragen: Warum halten wir hartnäckig an der Prämisse fest, uns selbst und unsere Mitmenschen herabsetzen und mit Missgunst be­handeln zu müssen, ­ obwohl sich dieser Ansatz in jedem Lebensbereich destruktiv auswirkt? Warum begnügen wir uns damit, unproduktive Kommentare über politische Akteure zu äußern, statt aktiv und in eigener Verantwortung daran zu arbeiten, bessere Regelungen in die Um­setzung zu bringen? Warum fällt es uns so schwer, den Respekt und die Achtung, die wir uns für uns selbst wünschen, auch jedem ande­ren Lebewesen zuzugestehen?

Die philanthropischsten und innovativsten Köpfe der Welt könnten noch so viele bahnbrechende Lösungen für die soziale Frage erarbeiten: So­lange sich die Gemeinschaft der Menschen weiter in dem Glauben halten lässt, die grundle­gendste Zutat für Frieden und Gerechtigkeit ha­be in der Politik keinen Platz, wird das immer wieder Strukturen zutage fördern, die von Kälte und Unmenschlichkeit leben. Weil es dann im­mer bei einer rein mechanischen Umsetzung von Konzepten bleiben wird, die ­ obwohl sie da­für geschaffen wurden, ihm zu dienen ­ den Menschen erbarmungslos überfahren.

Auch das Bedingungslose Grundeinkommen ist auf diese spezielle Zutat angewiesen, denn erst durch sie wird daraus eine vom Volk höchst­ selbst generierte Macht, die über jeglichen Miss­brauch erhaben ist. Wenn sie als tonangeben­des Bewusstsein zum Leitmotiv und Motor aller persönlichen und politischen Erwägungen geworden ist, hat die Suggestion der Spaltung keinen Bestand mehr. ­ Was denn nun diese ge­heimnisvolle Zutat sei, fragen Sie? ­ Nun: Ein unzulängliches Abbild ihrer gigantischen Kraft spiegelt ein Wort mit fünf Buchstaben: L I E B E !

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