Für das Leben lernen wir?

Gastartikel von Christine Haas

von E.Bartsch
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Aus meiner Sicht!

Jeder kennt den Spruch „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir“. Aber ist das in der heutigen Zeit wirklich noch so?

Christine Haas

Während mit Beginn der Schulpflicht dank Maria Theresia hauptsächlich geplant war, den Menschen lesen, schreiben und rechnen beizubringen, was sie wirklich für den Alltag gut brauchen konnten, erhält der Wortteil „allgemein“ in der Allgemeinbildung meiner Meinung nach viel zu viel Gewicht.

Die ersten vier Schuljahre für alle Kinder gleichlautend zu gestalten ist sehr sinnvoll, aber ab der fünften Schulstufe alle über einen Kamm zu scheren und keinerlei Rücksicht auf Interessen und vor allem Talente des Einzelnen zu nehmen, ist meiner Meinung nach ein grobes Versäumnis des Bildungsprogramms an Schulen.

Beispiele gefällig?

Da gibt es ein Mädchen, das höchst sprachbegabt ist, auch Geografie ist Ihre Stärke, aber vor jeder Mathematik-Schularbeit bekommt sie Bauchschmerzen, erbricht und hat Panik. Ein „genügend“ ist in diesem Fach bereits pure Erleichterung.
Braucht dieses Kind denn wirklich ständig das Gefühl vermittelt, dass es – wenn es nicht fehlerfrei Thermen berechnen kann – im Leben nicht weiterkommen wird?

Es regnet Gefährdungsmeldungen, die den Eltern mitteilen, dass dieses Kind wohl die Klasse wiederholen muss – wegen eines Gegenstands, der im Leben dieses Menschen, wenn er erwachsen ist, keinerlei Rolle spielen wird. Wahrscheinlich wird sie irgendwann Übersetzerin, Reiseleiterin – vielleicht Stewardess oder Mitglied einer Schiffs-Crew. Ich denke, Pythagoras ist es ziemlich egal, ob diese Frau dann zusätzlich seine Weisheiten anwenden kann.

Ebenso ergeht es dem Jungen, der bei Deutsch-Aufsätzen immer wieder Beistriche falsch oder gar nicht setzt. Dafür kennt er die lateinischen Namen von derart vielen Pflanzen, dass er mit jedem Gärtner mithalten kann. Er hat wohl einen grünen Daumen, denn im Schulgarten erweckt er verdorrte und welke Pflanzen wieder zum Leben, die schon zum Entsorgen auf die Seite gelegt wurden. Er würde gerne Biologie studieren – damit wird es wohl nichts werden, denn für das Studium benötigt er erst einmal die Matura. Da Sprachen seine Achilles-Ferse sind, wird er in Deutsch und Englisch gnadenlos scheitern.

Beispiele gäbe es genug – ich will euch nicht damit langweilen. Das künstlerisch, handwerklich oder sportlich begabte Kind, das nicht aufzählen kann, welche Schlösser Ludwig der Xte hat bauen lassen, etc.

Schulschwerpunkt Allgemeinbildung?

In den letzten Jahren haben sich Schulen mit Schwerpunktfächern verbreitet. Aber zwei Turnstunden mehr pro Woche machen noch keine Sportschule, ebenso zwei Kunststunden keine Kunstschule.

Der Schwerpunkt aller Schulen liegt nach wie vor in der Allgemeinbildung, die Wissen vermittelt, das keinerlei individuelle Förderung zulässt, sondern in Tests und Schularbeiten Leistungen fordert, die der Einzelne nie wieder benötigen wird. Und schnell wird jemand, dem in einem oder zwei Fächern das Interesse und dadurch auch eine gute Bewertung fehlt, in eine Schublade gesteckt, nämlich die mit der Aufschrift „Du bist nicht gut genug“.

Da gibt es doch dieses Bild, das eine Schule mit Tieren zeigt und die Anweisung des Lehrers. „Prüfungsaufgabe: Auf den Baum klettern“. Ich denke, dieses Bild sagt alles aus, was ich mit meinem Beitrag sagen möchte.

Mir drängt sich der Satz auf „Nicht für das Leben, für den Lehrplan lernen wir“.

Mein Anliegen

an die Verantwortlichen – und ja, ich weiß, dass es immenser Aufwand, eine komplette Umstellung des ganzen Systems wäre: In der fünften Schulstufe die besonderen Talente und Interessen der einzelnen Schüler herausfinden und ab da in entsprechenden Gruppen fördern, die wie folgt aussehen könnten: Kunst, Physik, Chemie, Biologie, IT, Mathematik, Sprachen, Geschichte & Architektur, Geografie & Astronomie, Rechtswesen & Politik, Soziologie-Sozialpädagogik, Gesundheitswesen.

Nicht nur die Noten würden wesentlich besser aussehen, sondern auch die Mitarbeit und das Interesse der Schüler an ihren Fächern.

Ich höre schon die Gegenstimmen: „Aber man muss doch ein gewisses Maß an Allgemeinwissen besitzen“ – ja – das gewisse Maß bekommt man in den ersten vier Jahren an jeder Volksschule vermittelt.

Danach sollte jedoch jedes Kind individuell auf das LEBEN vorbereitet werden – nämlich auf das Leben mit dem Beruf, der seine Berufung ist, der Spaß macht, der nicht als Arbeit, sondern als Freude angesehen wird.

Der Spruch „Lern‘ erst einmal was G’scheites“ ist überholt, denn das „G’scheite“, das den Kindern gelehrt wird, bringt sie gut durch jede Quizsendung, aber nicht gut durch ihr Berufsleben.

Meine Gedanken zu Sonderpädagogik

Noch eine Anmerkung, die nicht direkt mit Bildung zu tun hat, mir aber schwer im Magen liegt, weil es zeigt, wie teilweise mit unseren Kindern umgegangen wird: Sonderpädagogen – eigentlich geschult, um Kinder mit besonderen Bedürfnissen besonders einfühlsam und kompetent zu betreuen – zugegeben ein schwerer Beruf, der übermäßige Empathie erfordert.
Leider werden mir in letzter Zeit immer mehr Vorfälle bekannt, die mich sprachlos machen.

Da wird ein Mädel – Pflegekind mit entsprechenden „Ausrastern“, inzwischen 10 Jahre alt – in einer Schule für besonderen Bedarf untergebracht, in einer Schule, in der die Sonderpädagogen eigentlich genau mit solchen Kindern umgehen können sollten. Mitnichten – das Kind – 10 Jahre alt – muss ständig frühzeitig und SOFORT abgeholt werden (Rücksicht auf das Berufsleben der Mutter Fehlanzeige, auch wenn eine halbe Stunde später ohnehin der Fahrtendienst käme, um das Mädel abzuholen). Beim Abholen des Mädchens glaubt die Mutter, sie befände sich im falschen Film.

Winter – kalt – ein sechs-jähriger Junge, sitzend auf dem eisigen Boden, umringt von Polizisten. Die Sonderpädagogen haben die Polizei gerufen, weil sich ein Sechs-jähriger(!) daneben benommen hat. Auch das ist eine Art von Bildung, nämlich Persönlichkeitsbildung – es wird gelehrt und dieser Junge hat gelernt: „Wenn ich Hilfe brauche, besser nie die Polizei anrufen.“ In dem Fall hat er wohl nicht unbedingt das Richtige für sein weiteres Leben gelernt. Abgesehen davon – 14 Tage suspendieren, immer wieder nach Hause schicken – wo bleibt da die Schulpflicht und wo das Recht auf Bildung?

Es ist einzusehen, dass so etwas in „normalen“ Schulen natürlich nicht geregelt werden kann – aber Lehrer an Schulen für Kinder mit besonderem Bedarf sollten wohl genau für solche Kinder ausgebildet sein und dementsprechend arbeiten, damit sie mit Vorfällen wie „Kind läuft weg, Kind wirft sich auf den Boden, Kind wirft mit Sachen“ zurechtkommen.

Meine Bitte – bessere Schulung für Lehrkörper dieser speziellen Schulen. Auch diese Kinder müssen irgendwann ihr Leben meistern und haben ganz sicher – jeder Einzelne – eine besondere Fähigkeit, die es zu fördern gilt.

 

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