Heißgeliebter, böser Wolf

Ernst Wolff und das Grundeinkommen

von E.Bartsch
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Im Zuge der letzten Jahre haben sich system- und gesellschaftskritische Stimmen aus gutem Grund vervielfacht. Dass sich die Rahmenbedingungen insgesamt zunehmend verschlechtern werden, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, ist mittlerweile vielen Menschen klar. Ein sinnvoller Umgang mit diesem Bewusstsein wiederum weniger. Die einen klammern sich angesichts dessen umso verzweifelter an etablierten Strukturen fest – unabhängig davon, wie mutwillig diese gerade vor aller Augen an die Wand gefahren werden. Andere haben geheime Eliten als die Wurzel alles Bösen im Visier und hoffen – in Anbetracht ihrer persönlichen Ohnmacht – auf den Sturz derselben durch mysteriöse Untergrundbewegungen. Wieder andere haben der Rationalität vollständig den Rücken gekehrt und hoffen auf das Kommen des himmlischen Heilands oder irgendeiner Form von Apokalypse. Das Ausmaß dieser Extreme ist vielsagend – vor allem aber ist es ein Gradmesser für die herrschende Verunsicherung. Die Angst wiederum ruft fast zwangsläufig entsprechende Profiteure auf den Plan. Wer sich für soziale Gerechtigkeit und das BGE engagiert, kommt dieser Tage gar nicht an ihnen vorbei.

Im Zentrum vieler zeitkritischer Bücher und Vlogs werden regelmäßig Figuren wie Klaus Schwab und Konzepte wie die NWO (Neue Weltordnung) oder der Great Reset (Großer Neustart) thematisiert. Persönlichkeiten wie Ernst Wolff, die über die Vernetzungen und Hintergrunde des WEF (Weltwirtschaftsforum) aufklären und vor einer weltumspannenden Diktatur warnen, finden in gewissen Kreisen beachtlichen Anklang – verständlicherweise, aus o. g. Gründen. Doch aus Sicht einer konstruktiv motivierten Grundeinkommensbewegung, die keineswegs von oben herab diktiert wurde oder es jemals werden will, nur auf den ersten Blick.

Wolffs These zum Plan des WEF zeichnet folgende Vision:
Zunächst werden die Völker systematisch enteignet und in die Verarmung getrieben. Als vermeintliche Rettung wird ein staatliches Grundeinkommen angeboten, das aus den Reihen der – mittlerweile in prekären Verhältnissen lebenden – Bevölkerung dankend akzeptiert wird. Sobald aber die entsprechende Umstellung vollzogen ist, entfaltet die Abhängigkeit von einem nunmehr totalitären Staatsapparat ihre volle Tragweite …

Für die einen bloße Verschwörungstheorie, für die anderen eine Schreckensvision mit viel zu realistischem Potential – für die Grundeinkommensbewegung ein herber Rückschlag. Warum? –

Weil diese Theorie zwar einerseits tatsächliche Missstände aufgreift und – möglicherweise – sogar ins Schwarze trifft, was die unlauteren Absichten gewisser Riegen anbelangt. Es ist darum nicht weiter verwunderlich, dass derlei „Enthüllungen“ auf große Resonanz stoßen, wo die Perspektiven mehr und mehr verloren gehen. Was diese großen Aufmacher ihrem Publikum vermitteln, sind bei näherem Betrachten aber weder Perspektiven noch Motivation, noch Bewältigungsstrategien. Die einzige Auswirkung zeigt sich in dem Umstand, dass in Alarmbereitschaft versetzte Menschen neuerdings duracellhasenartig die Leier von der Abschaffung des Bargelds herunterrattern, sobald sie den Begriff Grundeinkommen nur hören. Die Angst davor, der staatlichen Willkür ausgeliefert zu sein, scheint in den Augen der allermeisten Menschen, die sich mit der Thematik befassen, in erster Linie von der Form der Währung abhängig zu sein. Kann ein solches Untergrund-Narrativ wirklich Aufklärung sein?

Haben wir nicht alle – spätestens während der letzten Jahre – erlebt, wie leicht es für einen übergriffigen Staat bereits ist, unliebsamen Personen willkürlich „den Hahn abzudrehen“? Wie viele Menschen wurden alleine im Namen der Corona-Maßnahmencampagne ohne haltbare Rechtfertigung gekündigt? Wie vielen wurden unverschuldet ihre Berufslizenzen entzogen, die sie sich jahrelang erarbeitet hatten? Wie viele kompetente Menschen mussten mitunter das Land verlassen, weil sie einen politisch unerwünschten Standpunkt vertraten? Wurde noch nicht deutlich genug demonstriert, wie einfach es mit oder ohne Bargeld bereits ist, Menschen jederzeit quasi „auf Knopfdruck“ mittellos zu machen?

„Aufklärer“ wie Herr Wolff schaden mit ihren Ausführungen weder Klaus Schwab, noch dem WEF, noch der Agenda 2030. Sehr wohl wird allerdings der Begriff „Grundeinkommen“ per se als etwas diffamiert, wofür er schlicht und ergreifend nicht steht. Ein Grundeinkommen ist nämlich – schon per Definition – nicht an Bedingungen geknüpft. Wie auch immer die Zwangslage zu bezeichnen ist, die Herr Wolff unter diesem Begriff anprangert: Es ist kein Grundeinkommen. Ein Grundeinkommen ist nicht dazu da, dem Menschen die Freiheit zu nehmen – das genaue Gegenteil ist der Fall! Erst ein Mensch, der seine Entscheidungen aus freien Stücken und nicht aus Zwangslagen heraus trifft, kann ein integres und wirklich selbstbestimmtes Leben führen. Natürlich sind Menschen, die ihre Entscheidungen unabhängig und ohne äußere Einflussnahme treffen können, nicht so leicht zu Dingen zu bewegen, die sie nicht wirklich möchten. Alleine aus diesem Grund ist es mehr als verwunderlich, dass nur sehr wenige Menschen danach fragen, wem es nützt, die Einführung eines BGE zu dämonisieren (wie Herr Wolff) oder für untauglich zu erklären (wie es unsere Berufspolitiker regelmäßig tun).

Alle Formen von unausgewogenen Belohnungssystemen und staatlicher Konditionierung – wie es u. a. jedes an aufoktroyierte Bedingungen geknüpfte Einkommen ist – dienen zwangsläufig der Eingrenzung von Entscheidungsfreiheit und Bewegungsspielraum. Das würde freilich ganz besonders auf die von Wolff fälschlicherweise als Grundeinkommen bezeichnete Geldverteilung zutreffen. Die Dimension jedoch, die das kapitalistische System mittlerweile angenommen hat, bildet dazu keinen großen Gegensatz mehr.

Angesichts eines spürbaren Bewusstseinswandels, der sich schon seit den Wirtschafts- und Vertrauenskrisen der 2000er Jahre anbahnt, wäre es gerade jetzt – wo an allen Ecken und Enden Veränderung ansteht – an der Zeit, das Thema „Grundeinkommen“ sehr viel ernsthafter zu diskutieren als das in der Vergangenheit der Fall war. Noch nie waren so viele Menschen innerlich reif dafür, sich neue und erfüllendere Arten des Zusammenlebens und der gemeinschaftlichen Organisation auch nur vorzustellen. Was für eine wunderbare Gelegenheit es doch wäre, das gerade jetzt zu tun!

Statt aber als Gemeinschaft aufzustehen und Verantwortung zu übernehmen, indem wir darauf bestehen, die Rahmenbedingungen für unser Zusammenleben als Bevölkerung selbst zu bestimmen, verkriechen wir uns hinter dem Märchen vom Bösen Wolf, und begnügen uns damit, ihm alleine die ganze Schuld daran zu geben, dass sich an den Missständen in unserem Leben einfach nichts ändern will.

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Cookies scheinen irgendwie bedingungsfrei zu sein. Als Grundeinkommen wollen wir sie aber nicht! Ja, ja, alles wird gut ;-)